Leonie Welzel studiert im Master Soziale Arbeit: Jugend in Theorie und Praxis im Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften (Öffnet in einem neuen Tab) und spricht mit uns u.a. über den Bundesfachtag Kitasozialarbeit, an dem sie als wissenschaftliche Hilfskraft mitgewirkt hat, über Hürden im akademischen Lebensweg und über den Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildung.
Stellen Sie sich eingangs gerne vor und geben uns eine kurze Einführung in das Thema, über das sie heute sprechen möchten.
Mein Name ist Leonie Welzel und ist studiere im Master Soziale Arbeit: Jugend in Theorie und Praxis (Öffnet in einem neuen Tab) im Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften der Fachhochschule Dortmund. Neben meiner Haupttätigkeit in einer Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Geflüchtete, arbeite ich seit Juli 2025 vier Stunden in der Woche als wissenschaftliche Hilfskraft für Prof. Dr. Viola Hartung-Beck (Öffnet in einem neuen Tab) . Ende September durfte ich Frau Hartung-Beck nach Erfurt zum Bundesfachtag Kitasozialarbeit (Öffnet in einem neuen Tab) begleiten und dort einen Workshop mitgestalten.
Nehmen Sie uns gerne mit. Wie läuft die Vorbereitung auf einen solchen Fachtag ab und wie war dann der Ablauf vor Ort?
Im Vorfeld fanden einige Treffen gemeinsam mit Frau Hartung-Beck und Salome Lutjiens, einer weiteren wissenschaftlichen Hilfskraft, statt. Hier haben wir den wissenschaftlichen Teil der Präsentation für den Workshop erarbeitet. Dabei haben wir uns zunächst gemeinsam einen Aufbau und Gesamtkonzept für die Präsentation erarbeitet und anschließend in Einzelarbeit die Folien erstellt. Frau Hartung-Beck übernahm die Kommunikation mit den Verantwortlichen der Kitasozialarbeit der Stadt Dortmund (Öffnet in einem neuen Tab) , mit denen sie bereits im Kontext der wissenschaftlichen Begleitung bei der Implementation der Kita-Sozialarbeit in Dortmund zusammengearbeitet hat, und behielt den Gesamtüberblick über die Präsentation. Außerdem fand ein Meeting gemeinsam mit zwei Mitarbeiterinnen der Präventionsfachstelle der Stadt Dortmund statt. In diesem Treffen konzipierten wir den Workshop inhaltlich und didaktisch. Frau Lutjiens und ich dokumentierten die Überlegungen, waren aber auch aktiv beteiligt am Gespräch.
Frau Hartung-Beck lud uns wissenschaftliche Hilfskräfte dazu ein, sie auf den Fachtag nach Erfurt zu begleiten und bei der Durchführung des Workshops zu unterstützen. Der Fachtag fand in den Räumlichkeiten der FH Erfurt statt. Dort bereiteten wir zunächst unseren Workshop vor, kümmerten uns also um die Technik sowie die Vorbereitung des Seminarraums. Zu Beginn des Fachtags hörten wir zunächst einen Eröffnungsvortrag von Prof. Klinkhammer der Uni Augsburg und gingen anschließend in unseren Workshop. Dort durfte ich einen kleinen Teil des Vortrags halten und unterstütze auch bei der Durchführung von Gruppenarbeitsphasen. Im Anschluss an den Workshop und als Abschluss des Fachtags, hörten wir eine Abschlussdiskussion in einem Hörsaal mit Expert*innen der Kitasozialarbeit.
Leonie Welzel über das Gefühl der Augenhöhe während des FachtagsGleichzeitig wurde mir durch meine Kolleginnen kontinuierlich das Gefühl vermittelt, auf Augenhöhe zu arbeiten und dass meine Perspektive sehr wertgeschätzt wird. Dadurch konnte ich selbstbewusster auftreten und die Herausforderungen gut meistern.
Wie haben sie den Fachtag erlebt und welche Erfahrungen und Lernmomente konnten sie mitnehmen?
Dass ich mit erfahrenen Kolleginnen gemeinsam an einem Workshop arbeiten durfte, war für mich sehr bereichernd. Zum einen, weil für mich schon die Möglichkeit als wissenschaftliche Hilfskraft an der Fachtagung teilnehmen zu dürfen etwas Besonderes war. Ich bin sehr dankbar für einen so direkten Einblick in das Forschungsfeld, da diese Erfahrung mein Interesse an wissenschaftlicher Arbeit erweitert hat. Gerade, weil ich als erste Person in meiner Familie studiere, war und ist es sehr besonders, Zugänge zu wissenschaftlich-professionellen Räumen zu haben.
Auch die Möglichkeit selbst aktiv an dem Workshop mitwirken zu dürfen, war für mich sehr aufregend. Ich war in die Konzeptplanung eingebunden, durfte einen Teil der Präsentation übernehmen und war später eng an der Auswertung beteiligt. Diese Verantwortung hat mir gezeigt, wie vertrauensvoll ich in das Team integriert wurde und hat mir ein Gefühl von echter Teilhabe gegeben.
Die größte Herausforderung lag für mich persönlich darin, erstmals selbst einen Präsentationsteil zu halten und anschließend einen Teil der Diskussion zu moderieren, da meine Kolleginnen deutlich mehr Fachkompetenz und Routine mitbringen. Gleichzeitig wurde mir durch meine Kolleginnen kontinuierlich das Gefühl vermittelt, auf Augenhöhe zu arbeiten und dass meine Perspektive sehr wertgeschätzt wird. Dadurch konnte ich selbstbewusster auftreten und die Herausforderungen gut meistern.
Sie haben erwähnt, dass Sie als erste Person in ihrer Familie studieren. Wie war ihr akademischer Weg bis hierhin und welche Hürden haben sie wahrgenommen?
Mein akademischer Weg begann mit einem Bachelor-Studium in Sozialer Arbeit an der Fachhochschule Münster. Im Zuge meiner Bachelorthesis führte ich eine kleine qualitative Studie durch und wurde anschließend von meiner betreuenden Professorin dazu ermutigt, ein Masterstudium zu beginnen. Als erste Person in meiner Familie an einer Hochschule zu studieren, war gerade im Bachelorstudium eine Herausforderung. Ich hatte Schwierigkeiten, mich in dem akademischen Umfeld zurechtzufinden und habe erst jetzt im Master das Gefühl, wirklich zu verstehen wie Hochschule „funktioniert“. Allein habe ich mich damit aber nie gefühlt, da sowohl in meinen Freund*innenkreis als auch im Studium viele Menschen sind und waren, die als erste Person in ihrer Familie studiert haben. Außerdem, und da bin ich bei weitem nicht die einzige, musste ich neben meinem Bachelor-Studium arbeiten, um mir Miete und Lebensunterhalt zu leisten.
In Münster habe ich oft Menschen getroffen, die arbeiten gegangen sind, um in den Urlaub zu fahren oder sich ihre Freizeit schön gestalten zu können. Bei mir und vielen anderen geht es darum, wohnen zu können oder Studiengebühren zu bezahlen, weil die Familie wenig oder nichts dazu beisteuern kann. Natürlich gibt es die Möglichkeit der Unterstützung durch das Bafög-Amt, aber es bekommen längst nicht alle Studierende Bafög genehmigt, zumal das Geld nicht reicht, um sich Luxus wie Urlaub oder ähnliches leisten zu können.
Leonie Welzel über die Herausforderungen im StudiumIch hatte Schwierigkeiten, mich in dem akademischen Umfeld zurechtzufinden und habe erst jetzt im Master das Gefühl, wirklich zu verstehen wie Hochschule „funktioniert“. [...] Bei mir und vielen anderen geht es darum, wohnen zu können oder Studiengebühren zu bezahlen, weil die Familie wenig oder nichts dazu beisteuern kann.
Wie beeinflussen soziale Herkunft und Bildungshintergrund ihrer Meinung nach den Zugang zur wissenschaftlichen Welt?
Wie schon erwähnt, spielen finanzielle Ressourcen eine große Rolle im Studium. Viele Studierende brechen ihr Studium unter anderem ab, weil sie es sich nicht mehr leisten können oder durch die Doppelbelastung mit Arbeit und Uni sehr lange für das Studium brauchen. Es ist bekannt, dass Kinder von Eltern ohne Hochschulabschluss deutlich weniger häufig ein Bachelorstudium beenden (20 von 100), als Kinder, deren Eltern ein Studium absolviert haben (64 von 100). Sprechen wir über höhere Abschlüsse, werden die Unterschiede noch prägnanter (11 vs. 43 bei Masterabschluss) (vgl. Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V. 2021).
Studierende aus weniger privilegierten Verhältnissen haben oft Schwierigkeiten, sich in der akademischen Welt zu behaupten, weil sie nicht die gleichen Ressourcen oder Netzwerke zur Verfügung haben wie andere. Dies führt dazu, dass sie sich in der wissenschaftlichen Welt nie ganz zuhause fühlen und sie sich als nicht zugehörig wahrnehmen. Die Förderung von Chancengleichheit und das Angebot von Unterstützung für Studienanfänger*innen sind daher immens wichtig.
Was können Bildungseinrichtungen tun, um Barrieren für Studierende aus marginalisierten Gruppen abzubauen?
Hochschulen und Universitäten sollten gezielte Programme entwickeln, die auf die Bedürfnisse von Studierenden aus marginalisierten Gruppen abgestimmt sind. Dazu könnten Mentoring-Programme, finanzielle Unterstützung oder Workshops gehören, die sich auf Studienorganisation und Zeitmanagement konzentrieren. Wichtig ist auch, eine inklusive Kultur zu schaffen, die Vielfalt wertschätzt und den Austausch zwischen allen Studierenden fördert.
Leonie WelzelVielfalt ist [..] für mich kein Zusatz, sondern ein grundlegender Baustein für wissenschaftliche Qualität, Relevanz und gesellschaftliche Wirkung.
Welche positiven Auswirkungen sehen sie, wenn unterschiedlichste Perspektiven in wissenschaftliche Diskurse einfließen?
Eine große Stärke wissenschaftlicher Diskurse liegt für mich darin, dass sie niemals einseitig sein dürfen, denn sie gewinnen dann an Qualität, wenn vielfältige und weniger sichtbare Blickwinkel einfließen. Besonders wichtig ist mir dabei, solche Perspektiven aktiv einzubeziehen, die im akademischen Kontext oder auch gesamtgesellschaftlich weniger Raum bekommen. Dazu zählen zum Beispiel Stimmen von queeren Personen, von Menschen mit Rassismuserfahrungen, von Menschen mit Behinderungen, aber auch von Nichtakademiker*innen oder Fachkräften, die Wissenschaft und praktische Anwendung unmittelbar verbinden. Gerade marginalisierte Gruppen verfügen über wertvolle Wissensbestände und Erfahrungsräume, die in traditionellen Forschungsstrukturen häufig nicht ausreichend berücksichtigt werden. Werden solche Perspektiven eingebunden, wird Forschung intersektionaler gedacht und sensibler für blinde Flecken. Diskriminierende Mechanismen, strukturelle Ungleichheiten oder bisher übersehene Fragestellungen können so sichtbar und bearbeitbar gemacht werden. Vielfalt ist daher für mich kein Zusatz, sondern ein grundlegender Baustein für wissenschaftliche Qualität, Relevanz und gesellschaftliche Wirkung.
Gerne würden wir jetzt mit ihnen über ihr Masterstudium sprechen. Wieso haben sie sich für den Masterstudiengang Jugend in Theorie und Praxis an der Fachhochschule Dortmund entschieden?
Ich habe mich für aus verschiedenen Gründen für den Master in Dortmund entschieden. Zum einen ist das Studium darauf ausgelegt, dass man etwa 20-25 Stunden in der Woche arbeitet. Der Master ist deswegen zwar länger, aber für mich wäre ein Master in Vollzeit aus finanziellen Gründen nicht anders machbar gewesen. Außerdem ist mir wichtig, mich auch im Beruf weiterzuentwickeln. Der Schwerpunkt der Jugendhilfe ist für mich besonders interessant gewesen, weil ich in diesem Arbeitsbereich meine berufliche Zukunft sehe. Des Weiteren ist die Hochschule nicht weit von meinem Wohnort entfernt und ich habe mich gefreut das Hochschulleben an einem großen Campus zu erfahren, weil in Münster die verschiedenen Fachbereiche über die ganze Stadt verteilt sind. Da ich ein großes Interesse daran habe, mein Wissen im Konzipieren und Durchführen von Forschungsprojekten zu erweitern, hat mich besonders das Forschungsprojekt im vierten und fünften Semester angesprochen.
Leonie Welzel über die Möglichkeiten zur Forschung im StudiumDa ich ein großes Interesse daran habe, mein Wissen im Konzipieren und Durchführen von Forschungsprojekten zu erweitern, hat mich besonders das Forschungsprojekt im vierten und fünften Semester angesprochen.
Was sind ihre Ziele für die Zukunft im und nach dem Masterstudium?
Während des Studiums würde ich gerne weiter als wissenschaftliche Hilfskraft tätig sein, weil ich gemerkt habe, dass es mir gefällt den wissenschaftlichen Diskurs mitgestalten zu können. Nach dem Abschluss strebe ich an, in einer Position zu arbeiten, die es mir ermöglicht, das Leben von jungen Menschen positiv zu beeinflussen. Da mache ich mir aber keinen Druck, sondern vertraue auf mein Tempo. Auch könnte ich mir vorstellen, in der Forschung als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig zu werden, um zur Weiterentwicklung innovativer Ansätze in der sozialen Arbeit beizutragen.
Leonie WelzelIch wünsche mir sehr, dass bestehende Hindernisse für marginalisierte Personen konsequent abgebaut werden und soziale Ungleichheiten nicht nur anerkannt, sondern sichtbar ernster genommen und aktiv bekämpft werden.[...] Vielfalt in der wissenschaftlichen Praxis führt damit zu sozial gerechteren Strukturen und Erkenntnissen, die wirklich alle Menschen im Blick haben.
Möchte sie uns zum Ende unseres Interviews noch etwas mitteilen, das wir noch nicht besprochen haben?
Ich möchte abschließend besonders hervorheben, wie wichtig es mir ist, dass Forschung und Bildung nicht als Privileg einzelner verstanden werden dürfen. Der Zugang zu Wissenschaft muss für alle möglich sein, unabhängig von sozialer Herkunft, finanziellen Ressourcen, Diskriminierungserfahrungen oder anderen Barrieren. Ich wünsche mir sehr, dass bestehende Hindernisse für marginalisierte Personen konsequent abgebaut werden und soziale Ungleichheiten nicht nur anerkannt, sondern sichtbar ernster genommen und aktiv bekämpft werden. Gerade für die Soziale Arbeit sehe ich in diesem Zusammenhang großes Potenzial, denn wenn Zugänge zur Wissenschaft erweitert und erleichtert werden, könnten mehr Studierende den Schritt in ein Masterstudium oder sogar in die Forschung wagen. Das wäre aus meiner Sicht ein bedeutender Fortschritt, denn Inklusion in der Forschung sorgt für Repräsentation und Repräsentation bestimmt mit, wie wir die Gesellschaft wahrnehmen, verstehen und gestalten. Vielfalt in der wissenschaftlichen Praxis führt damit zu sozial gerechteren Strukturen und Erkenntnissen, die wirklich alle Menschen im Blick haben.