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8 gegen 88

„Wer sieht unseren Schmerz?“

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Prof. Dr. Emra Ilgün-Birhimeoğlu (rechts) im Gespräch mit Emiş Gürbüz (Mitte) und Melanie Wurst von der Initiativ 19. Februar Hanau.

Der Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften (FB 8) der Fachhochschule Dortmund hat seinen jährlichen Aktionstag „8 gegen 88“ unter das eindringliche Motto „Wer sieht unseren Schmerz? Die Betroffenenperspektive auf 35 Jahre rechtsextreme Gewalt“ gestellt. Mit dabei: Angehörige der Opfer der NSU-Morde und des rechtsextremistischen Anschlags in Hanau 2020. 

„Die Soziale Arbeit setzt sich da ein, wo Menschen Unterstützung benötigen“, betonte Prof. Dr. Katja Nowacki, Dekanin des Fachbereichs, zur Eröffnung. Sie sagte, auch wenn man „nicht alles Unrecht ungeschehen machen“ könne, sei es doch essenziell, darauf aufmerksam zu machen.

Dies gelang den Organisator*innen insbesondere durch die Gäste Emiş Gürbüz und Gamze Kubaşık. Emiş Gürbüz verlor ihren Sohn beim Anschlag von Hanau am 19. Februar 2020. Sie schilderte im vollen Hörsaal der Fachhochschule ihren Schock nach dem Anschlag und eine schmerzliche Erkenntnis: „Ich habe fremdenfeindliche Gewalt in den Fernsehnachrichten gesehen, aber ich habe nicht gedacht, dass es mich treffen kann. Doch es kann alle treffen.“

Seit Jahren kämpft sie gemeinsam mit der Initiative „19. Februar Hanau“ für das Gedenken an ihren Sohn sowie die anderen Opfer des Anschlags und für die Aufklärung eines polizeilichen Versagens im Zusammenhang mit der Tat sowie beim Umgang mit den Angehörigen. Diese waren unter anderem als „potenzielle Gefährder“ eingestuft worden und mussten eine Gefährderansprache der Polizei über sich ergehen lassen.

Gamze Kubaşık (rechts) berichtete von ihren Erfahrungen.

Dass Opfer-Angehörige in den Fokus der Ermittlungsbehörden geraten, weil rechtsextreme Taten nicht als solche benannt werden, berichtete auch Gamze Kubaşık. Die Tochter des 2006 in Dortmund ermordeten Kioskbesitzers Mehmet Kubaşık erlebte, wie ihr Vater sieben Jahre lang von den Ermittlern kriminalisiert und als Drogendealer gebrandmarkt wurde, bis 2011 der NSU enttarnt wurde. Ihre Schilderungen der Stigmatisierung waren eindringlich, machen unverändert betroffen.

Solches Versagen sei mitunter systemisch, betonte Prof. Dr. Dierk Borstel, Lehrender an der Fachhochschule. Er forscht zum Thema Rechtsextremismus und begleitet den Aktionstag „8 gegen 88“ zum 15. Mal. Mit seiner Kollegin Prof. Dr. Emra Ilgün-Birhimeoğlu besprach er zum Auftakt der Veranstaltungen ihrer langjährigen empirischen Erfahrungen mit Rassismus, rechtsextremer Gewalt und Bedrohung.

Professor Borstel spannte dabei einen Bogen von den Anschlagswellen der frühen 90er-Jahre bis zur Gegenwart. Kritisch beleuchtete er etwa die Reaktion des politischen Establishments – etwa als Bundeskanzler Helmut Kohl nach dem Anschlag von Solingen 1993 ein CDU-Kreisverbandstreffen wichtiger war als die Teilnahme an der Beerdigung. Auch die späte Anerkennung der politischen Dimension von Taten wie dem Anschlag im Münchner Olympiapark 2016 zeige die anhaltenden Versäumnisse, so Dierk Borstel weiter.

Beide betonten, wie wichtig es sei, der Opferperspektive mehr Raum zu geben. Es seien Betroffene rassistischer und rechtsextremistischer Gewalt sowie ihre Angehörigen, die etwa bei Aktionstagen wie diesem Tag an der FH Dortmund Verantwortung und Bildungsarbeit übernähmen, um Aufklärung und Prävention zu leisten, so Prof. Dr. Emra Ilgün-Birhimeoğlu.